Wir leben auf der Insel der Glückseligen

von Ph. Müller

Holocaust-Tag an der Kreisschule Mittelgösgen

In einer Zeit, wo Antisemitismus und Ausgrenzung zunimmt, ist es wichtig sich bewusst zu werden, wie gut es uns eigentlich geht. Dass es sich lohnt, sich klar und entschlossen gegen solche Tendenzen zu positionieren, zeigte Elisabeth Häubi-Adler aus Lostorf eindrücklich auf. Sie forderte die Jugendlichen eindringlich auf, sich zu engagieren und aktiv zu sein, denn als Elite in einem Land des Friedens sei dies eine Pflicht.

„Sehr geehrte Damen und Herren ...“ so sprach Elisabeth Häubi-Adler, Überlebende des 2. Weltkriegs, ihr jugendliches Publikum an. Dies tat sie ganz bewusst, denn sind diese Menschen doch die Zukunft der Schweiz, welche künftig Verantwortung für unser Land übernehmen müssen. Was passiert, wenn man sich zweifelhaften politischen Strömungen nicht entgegensetzt, wusste die im Jahre 1934 in der Nähe von Wien geborene Referentin genau.

Ihr leiblicher Vater, ein jüdisch-stämmiger Agronomie-Ingenieur, erlebte den Beginn des politischen Umbruchs in Österreich, wurde aber mit den Folgen nicht mehr konfrontiert, da er vor dem Krieg an einem Herzinfarkt verstarb. Ihre Mutter und sie waren trotz des herben Verlusts des Vaters finanziell gut versorgt, nur war ein Teil des Geldes auf einer ausländischen Bank deponiert. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 sollte dies zu einem Problem werden, mussten doch alle Vermögen bei den neuen Machthabern deklariert sein. Für die junge Witwe war dies eine Überforderung, und sie wurde von der Gestapo zur Einvernahme aufgeboten, was zu dieser Zeit einem Todesurteil gleichkam. Glücklicherweise verliebte sich der befragende SS-Offizier in die Mutter von Elisabeth Häubi und so wurde sie gerettet. Die Liebe zu einer Witwe eines Juden musste ihr Stiefvater jedoch teuer bezahlen. So wurde er zu Beginn des Krieges in Polen eingesetzt und später auch als Aufseher in die Todesfabrik schlechthin, das Konzentrationslager Auschwitz versetzt. Was das dort Erlebte für Einflüsse auf seine Psyche hatte, schilderte die Zeitzeugin eindrücklich. Auf die Frage ihrer Mutter: „Was tust du in Auschwitz eigentlich genau?“, reagierte ihr Ehemann mit einem Weinkrampf. Bei seinen spärlichen Besuchen zu Hause verkroch er sich oft in seinem Bett. Nach der Befreiung Polens hat die Familie nie mehr etwas von ihm gehört, er wurde wohl nach Sibirien verbannt und ist dort umgekommen.

Elisabeth Häubi erlebte in Wien die Schrecken des Krieges mit schlimmen Bombennächten, zu wenig Nahrung und der steten Angst um die Mutter, welche den ganzen Tag arbeitete. Sie sagt selber: „Ich habe in meiner Kindheit nur Krieg erlebt!“
Nach dem Ende des 2. Weltkriegs ging das Hungern weiter und die Überlebenden litten unter den Mangelerscheinungen. Elisabeth Häubi hatte das Glück, dass sie – wie viele andere Kinder aus dem geschundenen Österreich – über die Sommermonate in die Schweiz reisen durfte, um dort wieder zu Kräften zu kommen. Das erste Mal durfte sie 1946 in das paradiesische Nachbarland reisen. Mit ihren 12 Jahren wurde sie von ihrer Mutter im komplett zerstörten Wiener Westbahnhof mit einem Schild mit der Adresse ihrer Gasteltern um den Hals auf die Reise geschickt. In 48 Stunden ging es via Linz, Salzburg, Innsbruck an die Schweizer Grenze. Dabei mussten vier Besatzungszonen und die entsprechenden Kontrollen überwunden werden und dies in einem komplett überfüllten Zug mit kaum Möglichkeiten sich zu verpflegen. In Buchs (SG) wurde die kleine Elisabeth erst in ein Internierungslager gesteckt um sie nach ansteckenden Krankheiten zu untersuchen, litt sie doch an einem schlimmen Ekzem, welches auf den Mangel an Eiweiss hindeutete. Glücklicherweise nahm die Odyssee dann trotz allem Ungemach ein Ende und Elisabeth Häubi-Adler wurde in Bern von ihren Pflegeeltern in Empfang genommen. Sie erwachte am ersten Morgen nach ihrer Ankunft im Paradies! Dies schilderte sie den Schülerinnen und Schülern eindrücklich. Alles war so wunderschön, die Menschen mit gesunder Gesichtsfarbe, glänzenden Haaren, sauberen Kleidern und Schuhen und auch die Luft roch anders, das Gras war grüner und alle Häuser waren intakt. Sie sei sich vorgekommen, als ob sie auf einem anderen Stern gelandet wäre. Wenn man sich Bilder von zerstörten Städten während des Krieges in Erinnerung ruft, kann man diese Sichtweise nachvollziehen.

Wir alle haben Möglichkeiten und Optionen, Verantwortung zu übernehmen

Dass Menschen auch in dunklen Zeiten Möglichkeiten haben Verantwortung zu übernehmen, zeigte auch das Rahmenprogramm neben dem Kontakt mit der Zeitzeugin. In verschiedenen Ateliers beschäftigten sich die Jugendlichen mit der Geschichte von Oskar und Emilie Schindler – bekannt aus dem Film „Schindlers Liste“ –sowie mit dem ehemaligen Polizeikommandanten von St. Gallen Hauptmann Paul Grüninger, welcher während dem 2. Weltkrieg jüdischen Österreichern den Weg über die schweizerische Grenze ermöglichte, obwohl er so gegen die offizielle Weisung der Eidgenossenschaft verstiess.

Wie können wir dies nun für uns in der heutigen Zeit umsetzen? Sehen wir zu, wenn jemand gemobbt wird? Greifen wir ein, wenn jemand auf der Strasse angegriffen wird? Wehren wir uns gegen Ausgrenzung? Schwierige Fragen, welche wohl nicht einfach so mit JA beantwortet werden können. Es bleibt die berechtigte Gewissheit, dass auch künftig Jugendliche und Erwachsene immer wieder Verantwortung übernehmen und sich für das Gute engagieren.

Weitere Informationen zur eindrücklichen Geschichte von Elisabeth Häubi-Adler können ihrem Buch „Brave Mädchen fragen nicht“, erschienen im Verlag „elfundzehn“, entnommen werden.

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